COVID-19 und die Änderungen in der StPO - Hemmung der Unterbrechungsfristen
Das am 27.03.2020 verkündete Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ist taggleich im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und am 28.03.2020 in Kraft getreten.
Aus strafprozessualer Sicht ist vor allen Dingen Artikel 3, welcher die Änderung des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung, hier § 10 StPOEG, regelt von Bedeutung:
Artikel 3
Änderung desEinführungsgesetzes zur Strafprozessordnung
§ 10 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessord-nung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungs-nummer 312-1, veröffentlichten bereinigten Fassung,das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. No-vember 2019 (BGBl. I S. 1724) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
§10
Hemmung derUnterbrechungsfristenwegen Infektionsschutzmaßnahmen
(1) Unabhängig von der Dauer der Hauptverhand-lung ist der Lauf der in § 229 Absatz 1 und 2 der Strafprozessordnung genannten Unterbrechungsfristen ge-hemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund vonSchutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitungvon Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längs-tens jedoch für zwei Monate; diese Fristen enden frü-hestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginnund Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die in § 268 Ab-satz 3 Satz 2 der Strafprozessordnung genannte Fristzur Urteilsverkündung.
Die Begründung zur Änderung des § 10 EGStPO findet sich in der BT-Drucksache 19/18110 v. 24.03.2020 (Bl. 32):
“Zu § 10 (Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen)
Hauptverhandlungen im Strafverfahren dürfen gemäß § 229 Absatz 1 und 2 StPO derzeit bis zu drei Wochen, wenn sie vor der Unterbrechung länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben, bis zu einem Monat unterbrochen werden. Urteile, die nicht am Schluss der Verhandlung verkündet werden, müssen gemäß § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO spätestens am elften Tag danach verkündet werden. Bei Hauptverhandlungen, die länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben, sind diese Fristen gemäß § 229 Absatz 3 Satz 1 auf-grund von Krankheit, Mutterschutz und Elternzeit bis zu zwei Monaten gehemmt und enden gemäß § 229 Absatz 3 Satz 2 frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung.
In § 10 StPOEG soll nunmehr ein zusätzlicher Hemmungstatbestand für die Unterbrechungsfristenbei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen sowie für die Hemmung der Urteilsverkündungsfrist geschaffen werden, der auf die aktuellen Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemieabstellt. Damit soll verhindert werden, dass eine Hauptverhandlung aufgrund der aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ausgesetzt und neu begonnen werden muss.
Zu Absatz 1
Der Tatbestand soll abweichend von § 229 Absatz 3 StPO unabhängig von der bisherigen Dauer der Hauptverhandlung gelten, also auch für solche Hauptverhandlungen, die im Zeitpunkt der Unterbrechung noch nicht zehn Verhandlungstage angedauert haben. Das ist aufgrund der besonderen Situation gerechtfertigt, die durch das bundesweit alle Gerichtsverfahren in gleicher Weise erfassende Pandemiegeschehen eingetreten ist.
Auch darüberhinaus ist der Tatbestand weit gefasst und erfasst sämtliche Gründe, die der ordnungsgemäßen Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen der Gerichte und Gesundheitsbehörden entgegenstehen.
Es ist folglich nicht erforderlich, dass der Angeklagte oder eine zur Urteilsfindung berufene Person selbst erkrankt ist oder sich in Quarantäne befindet. Der Fall der Krankheit ist bereits von § 229 Absatz 3 Satz1 Nummer1 StPO erfasst. Handelt es sich um eine festgestellte SARS-CoV-2-Infektion, liegt allerdings zugleich aufgrund der in einem solchen Fall zwingend erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen der neue Hemmungstatbestand des §10 Absatz 1 StPOEG vor mit der Folge, dass die Hemmung der Unterbrechung für jede Hauptverhandlung unabhängig von ihrer bisherigen Dauer eintritt. Der neue Hemmungstatbestand ist allerdings zugleich auch wesentlich weiter, weil auch Verdachtsfälle oder Krankheiten, die nicht getestet werden, ausreichen, solange eine Person gehalten ist, sich deshalb in häusliche Quarantäne zu begeben. Darüber hinaus genügt auch ein eingeschränkter Gerichtsbetrieb oder die Beteiligung zur Risikogruppe gehörender Personen, wie beispielsweise ältere Personen, Personen mit Grunderkrankungen oder einem unterdrückten Immunsystem, für die Annahme von Schutzmaßnahmen, die eine weitere Durchführung der Hauptverhandlung verhindern. Ein Hindernis für die Durchführung der Hauptverhandlung liegt auch vor, wenn es nur mittelbar auf gerichtlichen oder gesundheitsbehördlichen Schutzmaßnahmen beruht.
Das Gericht prüft – wie in den Fällen des § 229 Absatz 3 Satz 1 StPO – grundsätzlich im Freibeweisverfahren, ob, ab wann und bis wann der Hemmungstatbestand vorliegt. Deshalb muss das Gericht bei der Anwendung des § 10 StPOEG künftig im Freibeweisverfahren prüfen, ob Infektionsschutzmaßnahmenerforderlich sind, welche die Durchführung der Hauptverhandlung unmöglich machen. Die Unmöglichkeit der Durchführung der Hauptverhandlung kann auf Anordnungen und Empfehlungen der Gerichtsverwaltung oder der Gesundheitsbehörden beruhen, sie kann sich daraus ergeben, dass ein Gericht auf Notbetrieb geschaltet hat, die Abstände zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht eingehalten werden können oder sich Personen in häuslicher Quarantäne befinden oder bei Durchführung der Verhandlung potentiell gefährdet werden.
§ 10 Absatz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 StPOEG entspricht § 229 Absatz 3 Satz 2 und 3 StPO. Eine Hauptverhandlung kann damit auch in den Fällen des § 10 StPOEG für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, wobei das Gericht Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss feststellt.
Zu Absatz 2
Absatz 2 ordnet an, dass der in Absatz 1 geregelte Hemmungstatbestand auch für die Hemmung der in § 268 Absatz3 Satz2 StPO genannten Frist zur Urteilsverkündung gilt. § 268 Absatz 3 Satz 3 StPO verweist bereits auf § 229 Absatz3 und ordnet die entsprechende Geltung der dort geregelten Hemmungsvorschriften für die Urteilsverkündungsfrist an. Gleiches soll für den Hemmungstatbestand des § 10 Absatz1 StPOEG gelten.”
Dieser Hemmungstatbestand soll auf ein Jahr befristet werden. Besonders die Regelung in § 10 Absatz 2 dürfte so manchem Revisionsrechtler sauer aufstoßen, denn das Gericht soll Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss feststellen.
Während gemäß § 336 S. 1 StPO auch solche Entscheidungen im Rahmen der Revision überprüfbar sind, welche dem Urteil vorausgegangen sind, dürfte dies nicht für Beschlüsse, welche Beginn und Ende der Hemmung regeln, gelten.
Grund hierfür ist § 336 S. 2 StPO: Dies gilt nicht für Entscheidungen, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.
Die Gerichte können also ganz autonom und ohne jegliche Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung einen unanfechtbaren Beschluss erlassen, welcher in ganz erheblichem Ausmaß den Gang Hauptverhandlung bestimmt.
Da es sich um Verfahrensrecht handelt, gelten die Änderungen auch für bereits laufende Verfahren.
Es bleibt abzuwarten, wie diese Änderungen mit dem Beschleunigungsgrundsatz im strafprozessualen Verfahrens kollidieren, insbesondere im Hinblick auf Haftfragen.
Quellen:
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/Bgbl_Corona-Pandemie.pdf;jsessionid=F5BC3159BB4E5B363E09F083484DAFE3.1_cid324?__blob=publicationFile&v=1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/181/1918110.pdf
LG Aschaffenburg: Ortsübliche Vergleichsmiete des Mietspiegels reicht ohne weitere Begründung bis zum oberen Wert der Spanne
Das Amtsgericht hatte in einem von uns begleiteten Verfahren bereits am 12.01.2017 festgestellt, was durch das LG Aschaffenburg am 20.04.2017 (23 S 27/17) bestätigt wurde, dass ein Mieterhöhungsverlangen auf Basis des Mietspiegels für Aschaffenburg 2014 die Vergleichsmiete auf den oberen Wert der Spanne einstufen kann. Damit wurde unsere Rechtsauffassung durch das Landgericht bestätigt. Das Urteil gibt Vermietern Rechtssicherheit, die auf Basis eines förmlichen Mieterhöhungsverlangens zum Beispiel auf Basis eines Formulars des Haus- und Grundbesitzervereins Aschaffenburg e.V. unter Bezugnahme auf den Mietspiegel unter Beachtung der Kappungsgrenze die Vergleichsmiete am oberen Ende der Spanne des Mietspiegels ansetzen. Hierzu muss lediglich, so das LG Aschaffenburg, gewährleistet sein, dass die maßgeblichen wertbildenden Faktoren bei der Ermittlung der Bandbreite nach dem qualifizierten Mietspiegel Berücksichtigung gefunden haben .
Mehr lesen »Unfallverursacher schuldet Wertminderung für Krankenwagen
In einem von uns begleiteten Verfahren hat das Amtsgericht Aschaffenburg durch Urteil v. 11.08.2017 seine Rechtsauffassung dahingehend geäußert, dass auch der Eigentümer eines Krankenwagens einen Anspruch auf Ersatz eines unfallbedingt eingetretenen Anspruchs auf Wertminderung hat. Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung wurde festgestellt, dass die Tatsache, dass kein "Markt" für derartige Gebrauchtfahrzeuge existiert durch die technische und ökonomische Entwicklung in dem Bereich der Rettungsdienstorganisationen offensichtlich überholt sei. Wir haben diese Ansicht durch die von uns angebotenen Beweise, die auch im Rahmen des Verfahrens erhoben wurden, in das Verfahren eingeführt.
Mehr lesen »Keine Einstellung der Zwangsvollstreckung auf Räumung einer Mietwohnung weil der MIeter Selbstmordgedanken äußert
Im Rahmen der von uns begleiteten Zwangsvollstreckung aus einem durch uns erstrittenen Räumungsurteil behauptete der Schuldner unter anderem, dass er Selbstmordabsichten hege, und deshalb die Zwangsvollstreckung nicht durchgeführt werden könne bzw. eingestellt werden müsse.
Das Landgericht Aschaffenburg ist in einer Entscheidung vom 09.09.2016 anderer Auffassung und bestätigt die Entscheidung des Amtsgerichts Aschaffenburg, in der der Antrag des Schuldners auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen wird. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Dem Schuldner ist es nicht gelungen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstellung der Zwangsvollstreckung auch zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Alleine die Einholung ärztlicher Gutachten, die Gedanken der Selbsttötung bestätigen, ist nicht ausreichend, um einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zu begründen.
Der Vermieter kann nunmehr die Zwangsvollstreckung mit geringer zeitlicher Verzögerung weiter betreiben.